Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Klimaschutz im Homeoffice?

27.03.2020

Stefanie Kunkel

Dr. Stefanie Kunkel

stefanie [dot] kunkel [at] rifs-potsdam [dot] de
Angesichts der Corona-Pandemie erhalten Videokonferenzen eine ganz neue Bedeutung.
Angesichts der Corona-Pandemie erhalten Videokonferenzen eine ganz neue Bedeutung.

Hätte man noch vor zwei Wochen Arbeitnehmer*innen gefragt, ob sie in Kürze von zu Hause aus arbeiten, hätten viele vermutlich abgewinkt. Homeoffice? Nicht bei uns! Kurze Zeit später gibt es aufgrund der Pandemie mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) eine Ausgangssperre in einigen deutschen Bundesländern und die häusliche Arbeits-Quarantäne ist zum neuen Status quo geworden - zumindest für jene Berufe, deren Ausübung hauptsächlich eines Computers mit Internetzugang bedarf.

Der Gedanke der Virtualisierung der Arbeitswelt ist indes schon lange mit Hoffnungen auf ökologische Vorteile, wie etwa der Reduktion von Mobilitätsemissionen, verbunden. In einem Artikel aus dem Jahr 2004 heißt es: „[Information technologies] are opening  up  opportunities  for  replacing  both  goods  and  passenger  transport through technologies such as digital telephony, e-mail, Internet, and videoconferencing.“ (Berkhout & Hertin, 2004).  Die Global Enabling Sustainability Initiative (GeSI) der Informations- und Kommunikations (IKT)-Branche proklamiert in einem Bericht aus dem Jahr 2008, dass der Einsatz von Tele- und Videokonferenzen  eine Reduktion von bis zu 20 % der Geschäftsreisetätigkeit und 80 Mio. t CO2 nach sich ziehen könnte (Climate Group & GeSI, 2008).  

Digitalisierung kann zu mehr Reisen führen

Die Vergangenheit zeigt hingegen einen gegenläufigen Trend. Über die letzten Jahrzehnte ist ein starker Anstieg etwa von Dienstreisen und damit einhergehenden Emissionen zu verzeichnen. Der „Verband Deutsches Reisemanagement“ berichtet von einer Zunahme an Geschäftsreisen in deutschen Unternehmen von ca. 8 Prozent  allein zwischen 2014 und 2018 (VDR, 2018).  Trotz der ebenfalls starken Zunahme des Einsatzes von digitaler Kommunikation via E-Mail und Videokonferenz hat der „Virtualisierungs-Effekt“ nicht ausgereicht, um eine absolute Verringerung der Geschäftsreiseaktivität herbeizuführen. Teils steigert der Einsatz von digitalen Technologien auch seinerseits die Zahl der Dienstreisen, etwa durch die bessere und günstigere Vernetzung mit weiter verstreuten Kontakten online und daraus resultierenden Dienstreisen sowie der effizienteren Gestaltung von Dienstreise-Zeiten durch cloudbasiertes Arbeiten unterwegs. Zugespitzt formuliert: Erst die Verfügbarkeit digitaler Technologien ermöglicht Kontakte und induziert neue Dienstreisen (Clausen, Schramm & Hintemann, 2019).

Verändert SARS-CoV-2 die Arbeitswelt?

Die weltweite Verbreitung von SARS-CoV-2 stellt unterdessen eine einschneidende Veränderung der Form unseres Zusammenarbeitens dar. Die entstehende Notwendigkeit zur sozialen Distanzierung zwingt viele Unternehmen und Institutionen, ihre Arbeitnehmer*innen ins kollektive Homeoffice zu schicken. Konferenzen werden über Monate hinweg abgesagt, Meetings und Geschäftstreffen im In- und Ausland sind erschwert. Die weitgehende Einstellung von physischen Treffen und Dienstreisen dürfte Hoffnungen auf Emissionsreduktion durch Virtualisierung der Arbeitswelt neu beflügeln.

Homeoffice als Fluch und Segen für Arbeitnehmer*innen

Während die Motivation für Virtualisierung von Treffen und Homeoffice in Pandemie-Zeiten darin liegt, die Zahl der sozialen Interaktionen auf das Nötigste herunterzufahren, könnte sich nach dem (hoffentlich baldigen) Ende der Gesundheits-Krise eine Situation einstellen, in der das virtuelle Arbeiten zur Normalität geworden ist und Arbeitnehmer*innen nicht mehr darauf verzichten wollen. Dies birgt für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen Risiken, aber auch Chancen.

Für Arbeitnehmer*innen können die soziale Isolierung im Homeoffice, das Verlassen des gewohnten Kolleg*innen-Umfelds und der vertraute Gang zur Kantine - zumindest längerfristig - Probleme herbeiführen. Möglicherweise erschwert sich im Homeoffice die Trennung von Privat- und Berufsleben. Hinzu kommen Fragen der Gewährleistung von IT-Sicherheit und Arbeitsschutz im Homeoffice sowie die Herausforderung der Kinderbetreuung in Zeiten der Schließung von Schulen und Kindergärten. Andererseits mag für manche Arbeitnehmer*innen die Aussicht, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, einige dieser Nachteile aufwiegen. Ebenso positiv wird sicherlich von einigen die Gemütlichkeit zu Hause, höhere Flexibilität der Pausengestaltung und z. B. die Möglichkeit, sein eigenes Essen zu kochen, eingeschätzt.

Neue Chancen und Risiken für Arbeitgeber*innen

Für Arbeitgeber*innen entstehen neue Fürsorgepflichten, um negative Folgen der sozialen Isolation und der Überarbeitung von Arbeitnehmer*innen abzumildern. Möglicherweise müssen auch einschneidende Veränderungen in Geschäftsprozessen vorgenommen werden, um Digitalisierung von Abläufen im Unternehmen überhaupt erst zu ermöglichen. Somit können die Forderung nach Homeoffice und die dafür notwendige Modernisierung von IT-Infrastuktur in der eigenen Institution auch zu einer Beschleunigung der Digitalisierung in anderen Bereichen führen. Flexibilität in Hinblick auf physische Anwesenheit am Arbeitsplatz und bei Meetings kann den Arbeitgeber*innen zudem bei der Erreichung sozialer Ziele wie etwa der Vereinbarkeit von Beruf und Familie helfen.  

Nicht zu vernachlässigen sind auch Kosteneinsparungen für Transport und Unterbringung von Mitarbeitenden. Sogar eine verbesserte Kommunikation zwischen Kolleg*innen im Homeoffice gegenüber etwa einem Großraumbüro und ein effizienteres Ausführen von Routinearbeiten werden als Vorteile angeführt. Wird die Digitalisierung des Arbeitsplatzes vor dem Hintergrund von Klimaschutzzielen des Unternehmens betrachtet, kann sie auch zur Erreichung von Emissionsreduktionen eingesetzt werden, etwa, wenn entstehende Emissionen in einem ersten Schritt kompensiert werden und später jede/r Arbeitnehmer*in ein virtuelles Klimabudget hat, welches es zu reduzieren gilt.

Videokonferenzen trotz Stromverbrauchs umweltfreundlicher als Dienstreisen

Videokonferenzen können einen umweltschonenden Ersatz zu Dienstreisen darstellen. Zwar führt auch die zunehmende Verlagerung der Arbeitswelt in den digitalen Raum zu einem Anstieg des Strombedarfs und zu einer Steigerung des Materialbedarfs für Hardware, Software und Infrastruktur. Jedoch ist der CO2-Fußabdruck einer Video-Konferenz abhängig von Entfernung, Transportmittel und eingesetztem digitalen Tool immer noch um ein Vielfaches sparsamer als physische Zusammenkünfte: Behrendt et al. (2005) beziffern für eine Dienstreise über 100 km mit dem Auto einen 30-mal geringeren Primärenergieaufwand, für 1000 km mit dem Flugzeug gar einen 500-mal geringeren Primärenergieaufwand einer Videokonferenz.  Die von Ong, Moors und Sivamaran (2014) berechneten Einsparungen belaufen sich bei einem 5-stündigen physischen Meeting von vier Personen mit unterschiedlichen Anreiseentfernungen gegenüber einer Videokonferenz auf ca. 92 bis 95 %. Der Verzicht auf interne und externe Dienstreisen ist also in der überwältigenden Zahl der Fälle, gerade bei vielen weit verstreuten Geschäftspartner*innen, eine wirksame Emissionssenkungsmaßnahme.

Wollen Institutionen und Unternehmen das virtuelle Arbeiten ökologisch gestalten, ist zudem insbesondere dem sogenannten „Rebound-Effekt“ entgegenzuwirken. Wie oben beschrieben haben gesunkene Kosten für IKT die nationale und internationale Vernetzung und Arbeitsteilung erhöht. Die Folge sind mehr Kontakte und Treffen auch entfernter Geschäftspartner*innen. Weil die Aussichten auf einen starken Rückgang der Globalisierung trotz systemischer Risiken in der Krise eher zweifelhaft erscheinen, sollten Institutionen und Unternehmen stärker darüber reflektieren, wie Emissionsreduktion und internationale Zusammenarbeit besser in Einklang gebracht werden können.

Zeit, Prioritäten neu zu sortieren

Ob eine Wende hin zu mehr digitalen Treffen zu einer tatsächlichen Reduktion von Dienstreisen - und folglich von Emissionen - führen kann, wird dabei auch vom Erfolg von Video-Konferenzen und schlichten E-Mails und Telefonaten für berufliche Zwecke abhängen. Bereits die Qualität der Mikrofone oder einfache Verhaltensregeln für die Teilnehmenden können beispielsweise die Qualität der Online-Zusammenarbeit erhöhen (Clausen &Schramm, 2019). Online zirkulieren derzeit viele Listen mit „Do“ und „Don’t“ für die Online-Arbeit. Interessant wird es sein, welche Innovationskraft in der derzeitigen Situation freigesetzt werden kann, um neue Lösungen für die Online-Arbeit zu entwickeln. Denn Fakt ist, dass fundamentale Probleme in der Abstimmung und Zusammenarbeit in Institutionen und Unternehmen durch die Verlagerung in den virtuellen Raum schlimmstenfalls vergrößert und sicherlich nicht leicht durch neue, ihrerseits zeitintensive Online-Tools gelöst werden können.

Werden die im Zuge des weltweiten Gesundheitsnotstandes verhängten drastischen Maßnahmen unser Verhältnis zu virtuellem Arbeiten im Homeoffice und Dienstreisen verändern? Dies hängt auch davon ab, ob wir einen Kulturwandel herbeiführen wollen. Klar ist, dass nicht alle Berufe online ausgeübt werden können. Jene Berufe jedoch, die hauptsächlich auf den Austausch von Informationen und die Schaffung von Ideen und Wissen abzielen, sollten grundsätzlich reflektieren, wie ein Zusammendenken von Arbeitsalltag und Umweltschutz aussehen kann. Dazu zählt auch die Bereitschaft von Arbeitgeber*innen, Vorbehalte abzulegen und den Wandel zu begrüßen. Zeichnet sich erst einmal der Erfolg virtueller Treffen ab, wird auch die Finanzabteilung von Institutionen und Unternehmen die Reduktion von Geschäftsreisen und die damit verbundenen Kosteneinsparungen unterstützen.

Soziale, aber auch ökologische Krisen frühzeitig ernst nehmen

Klar ist auch, dass die Abbildung der Vielfalt menschlicher Kommunikation im digitalen Raum eine beachtliche Herausforderung darstellt. Insbesondere die Fähigkeit, Vertrauen auch ohne physischen Kontakt, Mimik und Gestik des Gegenübers aufzubauen, ohne zu wissen, ob „die Chemie stimmt“, ohne Gespräche in der Mittagspause und das obligatorische Feierabendgetränk, wird unsere Kreativität und Anpassungsfähigkeit unter veränderten Rahmenbedingungen fordern. Der weitere Anstieg von Geschäftsreisen wird angesichts der ökologischen Krise zunehmend in Frage gestellt werden und auch aus ökonomischer Hinsicht häufig nicht mehr tragbar sein. Dieser Entwicklung lediglich das Bauchgefühl entgegenzusetzen, dass persönliche Treffen unumgänglich sind und sich neuen Lösungen zu versperren, wird künftig kaum mehr zu vertreten sein. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir die neue Arbeitswelt aktiv mitgestalten können.

Auf einer abstrakteren Ebene mag die Diskussion um Anpassung an das Homeoffice in folgende Frage münden: Können wir unsere (neu entstehenden) Fähigkeiten zur Bewältigung der Gesundheitskrise auf die Bewältigung der Klimakrise übertragen? Hoffentlich bietet die aktuelle Situation Anlass, Prioritäten neu zu sortieren und dem Klimawandel mit derselben Vehemenz zu begegnen wie dem aktuellen Gesundheitsnotstand. Die SARS-CoV-2-Pandemie ruft eindrücklich ins Gedächtnis, dass unser gesellschaftliches Zusammenleben ein fragiles Unterfangen ist. Wir täten gut daran, soziale wie ökologische Krisen frühzeitig ernst zu nehmen.

Quellen:

Behrendt, S., Henseling, C. & Fichter, K. (2005). Chancenpotenziale für nachhaltige Produktnutzungs-systeme im E-Business. E-Business und nachhaltige Produktnutzung durch mobile Multimedi-adienste. No. 71. Berlin: IZT.

Berkhout & Hertin (2004): De-materialising and re-materialising: digital technologies and the environment. Futures, 36(8), 903-920.

Clausen, J. & Schramm, S. (2019). CliDiTrans Werkstattbericht 3-2: Wege zu einer neuen Konferenz-kultur. Reisen erschweren - Teleconferencing entwickeln. Berlin: Borderstep.

Clausen, J., Schramm, S.& Hintemann, R. (2019). CliDiTrans Werkstattbericht 3-2: Virtuelle Konferenzen und Online-Zusammenarbeit in Unternehmen: Effektiver Klimaschutz oder Mythos? Berlin: Bor-derstep Institut.

Climate Group & GeSI. (2008). SMART 2020: Enabling the low carbon economy in the information age. Climate Group on behalf of the Global eSustainability Initiative (GeSI). Verfügbar unter: https://www.theclimategroup.org/sites/default/files/archive/files/Smart…

Cloudfare (2020): On the shoulders of giants: recent changes in Internet traffic. Verfügbar unter: https://blog.cloudflare.com/on-the-shoulders-of-giants-recent-changes-i…

Ong, D., Moors, T. & Sivaraman, V. (2014). Comparison of the energy, carbon and time costs of vide-oconferencing and in-person meetings. Computer Communications, (50), 86–94.

VDR (2018): VDR-Geschäftsreiseanalyse 2019. Verfügbar unter: https://www.vdr-service.de/fileadmin/services-leistungen/fachmedien/ges…

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