Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Zur Zukunft von Online-Beteiligung: Was sagen uns die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und wie kann es jetzt weitergehen?

08.08.2023

Jörg Radtke

Dr. Jörg Radtke

joerg [dot] radtke [at] rifs-potsdam [dot] de
Videokonferenz beim Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt".
Videokonferenz beim Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt".

In einem neuen Discussion Paper werden die Erfahrungen mit Online-Kommunikation in der Corona-Zeit basierend auf Studien-Ergebnissen und verbunden mit eigenen Beobachtungen zusammengefasst und Schlussfolgerungen für die Zukunft von Online-Beteiligungsformaten gezogen. Insgesamt hat das „Corona-Experiment“ sehr deutlich die Grenzen von Online-Kommunikation vor Augen geführt - einige Lehren können hieraus für die Zukunft gezogen werden.

Kommunikation im Lockdown: Niemand hält es auf Dauer digital aus

Die Corona-Pandemie hat uns alle in eine historisch einmalige Situation geführt: Abgeschottet von der Außenwelt mussten wir zumindest streckenweise unsere Kommunikation größtenteils in den digitalen Raum verlagern. Nach kurzer Zeit lernten wir Zoom- und andere Video-Kommunikationsformate kennen - nach einer schon längeren Erfahrungszeit mit Skype, das üblicherweise als Kommunikationsform mit dem Ausland Verwendung fand, aber nicht zu einem Durchbruch der Video-Kommunikation führte. Es folgte eine Zeit des Ausprobierens - welche Tools funktionieren gut, wann brechen Verbindungen zusammen, wie sollte man Kamera und Headset bestenfalls verwenden? Nach einer durchaus optimistischen Anfangsperiode („Wir leben doch schließlich im digitalen Zeitalter und sind alle digital kompetent!“) kam es jedoch recht zügig zur großen Ernüchterung: Zoom-Konferenzen sind ermüdend, die Stimmen klingen metallisch, das Starren auf den Bildschirm führt zum „Quadratschädel“, immer muss man schnurgerade in die Kamera schauen, der Stuhl wird auf die Dauer unbequem und: Ach, könnte man mit den Kolleg*innen doch jetzt ganz entspannt einen Kaffee trinken gehen! Doch was bleibt, ist der Gang in die eigene Küche, wo einen jeden Tag aufs Neue dieselbe Tristesse empfängt. Und täglich grüßt das Murmeltier!

Die Vorteile der Online-Kommunikation liegen auf der Hand

Dabei klang alles so verlockend: Nicht mehr durch den gefährlichen Stadt- oder Landverkehr zum Arbeitsplatz. Wenn man Kolleg*innen nicht sehen und hören mag, können sie per Knopfdruck ausgeblendet werden, und wenn man selbst nicht präsent sein mag, führen technische Probleme dazu, dann wahlweise nicht zu sehen und/oder zu hören zu sein. Außerdem tut man etwas Gutes für die Umwelt: All die eingesparten Emissionen und der Stress reduziert - das klingt eigentlich nach perfekten Arbeitsbedingungen mit einem guten sozial-ökologischen Gewissen.

Auch bezogen auf die Online-Beteiligung weist die digitale Version viele Vorteile auf, welche als prominente Fürsprecherin die Piraten-Partei und andere Soziale Bewegungen seit inzwischen bald 20 Jahren betonen (Liquid Democracy). So wird die Partizipation möglich, auch wenn ich keine Zeit habe zur Bürgerversammlung zu gehen. Und auch für Menschen mit Einschränkungen ist Online-Beteiligung ein großer Vorteil, wenn Präsenz-Veranstaltungen schlecht erreichbar oder nicht barrierefrei sind oder auch bestimmte Voraussetzungen für eine aktive Teilnahme nicht gegeben sind. Außerdem kann wesentlich unmittelbarer, vielfältiger und auch nachträglich reagiert werden (Liquid Feedback).  Wenn die Vorteile von Online-Partizipation derart überwältigend sind, warum sind dann aber die Rufe nach einer Liquid Democracy verhallt, warum ist das Corona-Experiment zumindest in der Hinsicht (da sich Online-Meetings in der Post-Corona-Ära mit einem Zuwachs von 30 Prozent gegenüber der Situation vor 2020 stärker etabliert haben) missglückt, dass es zu keinem tiefgreifenden Wandel kommt? Warum finden zum Beispiel Bürgerversammlungen (Town Hall Meetings) nicht einfach digital statt?

Die Wahrheit über Online-Kommunikation: „Warme“ vs. „kalte“ Settings

Schon relativ kurze Zeit nach Verhängen der „harten“ Lockdowns wurde die große Sehnsucht geboren: Wie schön ist doch das Erleben anderer Personen mit allen Sinnen! Selbst die größten Bemühungen der Tech-Branche - von 3D-Brillen bis zu Handschuhen mit haptischen Erlebnissen - haben doch nur dazu geführt, dass die Begeisterung für Computerspiele unverändert hoch ist. Die Pandemie-Erfahrungen zeigen nämlich: Nach dem Zoom-Meeting bleibt die „soziale“ Belohnung aus. Alle Versuche mit einem entspannten digitalen Get-together am Abend sind gescheitert; das Gleis Wein schmeckt allein am Bildschirm doch irgendwie schal, anregende Stimmung will nicht aufkommen. Der digitale Raum bleibt bis dato kalt, auch wenn er sich in den letzten Jahren hinsichtlich der Audio- und Video-Optionen erwärmt hat. Ein authentisches Spüren anderer Menschen ist bis heute unmöglich, der persönliche Kontakt unersetzbar.

Das heißt zusammengenommen: Wenn Online-Kommunikation gewisse Vorteile hat, der persönliche Austausch aber das Mittel der Wahl bleibt, dann kann nur die Kombination („das Beste aus beiden Welten“) die Lösung des Dilemmas zwischen online und offline bedeuten. Überwiegend beschreibt dies die gegenwärtige Realität, da wir uns fließend zwischen Online- und Offline-Räumen bewegen bzw. mithilfe des Smartphones die Grenzen verschwimmen und Präsenz-Treffen immer stärker digital ergänzt werden.

Hybride Bürgerbeteiligung: Bürgerrat online und/oder offline?

Was kann man aus diesen Erfahrungen und Überlegungen für Online-Bürgerbeteiligung ableiten? Sollten Bürgerräte digital tagen und Begehungen in der realen Welt stattfinden? Ja, das kann eine Möglichkeit sein. Bisherige experimentelle Praktiken und Forschungsprojekte wie ENVIKO am RIFS zeigen, dass der digitale Raum und Tools für eine kreative und innovative Bürgerbeteiligung „fit“ gemacht werden können. Die Erfahrungen und Umfragen zur Bürgerbeteiligung in der Energiewende zeigen etwa, dass sich die große Mehrheit Veranstaltungen in Präsenz wünscht, Online-Elemente werden als nützliche Ergänzung verstanden. Wollen Bürger*innen sich aber einen persönlichen Eindruck verschaffen und etwa einschätzen, ob sie Vorhabenträger*innen vertrauen können, so möchten sie die Verantwortlichen in Präsenz sehen und hören. Sich in den Fall einlesen und eine Frage stellen kann man aber vielleicht besser auf einer Online-Plattform. Zwar nehmen interaktive Online-Formate zu, vermehrt werden Videos eingesetzt und sind Zuschaltungen zu Präsenzformaten online möglich, aber eine weitgehende Verlagerung in den digitalen Raum findet nicht statt. Auch hier gilt: Die Corona-Pandemie hat eher die Lust auf das Erleben einer Bürgerversammlung, eine Planungswerkstatt oder die Begehung eines Windparks-Standortes erhöht.

Die Zukunft der Online-Beteiligung: Mehr Experimente wagen!

Insgesamt fällt auf, dass in der Online-Bürgerbeteiligung bei Weitem nicht die Potentiale ausgeschöpft werden, die technisch möglich wären. Das mag zum Teil auch gut begründbar sein, denn nicht jede Karte muss auch gespielt werden. Doch es kann nur zum Vorteil gereichen, wenn man neue Optionen ausprobiert und sich auf das Spiel mit den technischen Innovationen einlässt, auch wenn das Risiken birgt. So konnten in dem Forschungsprojekt AR4Wind Windparks per Augmented Reality an den realen Standorten auf Pads realitätsgetreu im Realbild (Kamerafunktion) abgebildet werden und sich Bürger*innen auf Spaziergängen einen sehr viel besseren Eindruck machen als in rein virtueller Abbildung oder Foto-Visualisierungen. Das ENVIKO-Projekt erforscht derzeit, welche vielfältigen Input-Optionen für Bürger*innen in 3D-Welten bei Energiewende-Planungen möglich sind. Auf diese Weise könnte ein wertvoller Link zwischen der Vermittlung von Vorhaben, der Rückmeldungen aus der Bevölkerung und Verarbeitung dessen im öffentlichen und politischen Diskurs in Online- und Offline-Kommunikationsräumen entstehen, welcher derzeit eine erhebliche Schwachstelle darstellt. Die Zukunft der Bürgerbeteiligung online/offline bleibt also spannend.

Weitere Überlegungen zur Bürgerbeteiligung im Post-Covid-Zeitalter können hier nachgelesen werden:

 

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